Donnerstag, 9. Oktober 2008

Meinungsfreiheit - Steine aus dem Glashaus

Eine Zahl, die man sich merken sollte: 14 407. Exakt so viele Fälle politischer Verfolgung ereigneten sich im Jahr 2007 in der Bundesrepublik - dem Staat, den Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker einmal als den "freiesten" der deutschen Geschichte bezeichnete. 11 935 Fälle entfielen auf das Zeigen "verfassungswidriger Symbole" und das "Verbreiten verfassungswidriger Propaganda". Die restlichen 2472 Fälle betrafen strafbewehrte Meinungsäußerungen zu Fragen und Zahlen der Zeitgeschichte.

Die tatsächliche Dimension erschließt sich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Verfolgung wegen des "Verbreitens verfassungswidriger Propaganda" ein geradezu klassischer Asylgrund ist - auch und gerade in der Bundesrepublik. Was das Asylland Deutschland Jahr für Jahr zahllosen Flüchtlingen aus aller Welt gewährt - das Recht auf Schutz vor politischer Verfolgung -, das versagte es im Jahr 2007 in über 14 000 Fällen eigenen Staatsbürgern. Um davon abzulenken, wurden die Olympischen Spiele zu einer Kampagne gegen China genutzt: Dort würden politische Meinungen kriminalisiert und Teile des Internets gesperrt. Für regimekritische Äußerungen riskierten Chinesen sogar Gefängnis.

Angesichts dieser schwer erträglichen Doppelmoral regt sich auch unter den Stützen des bundesdeutschen Systems Widerspruch. Eine besonders gewichtige Stimme ist die des langjährigen Bundesverfassungsrichters und ehemaligen Hamburger Justizsenators Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem. Der Berliner "Tagesspiegel" tituliert ihn als "strengen Hüter von Meinungs- und Versammlungsfreiheit" - um so schwerer wiegt, was Hoffmann-Riem unlängst in einer Rede vor dem Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung sagte: "Wäre ich Gesetzgeber, würde ich die Leugnung des Holocaust nicht unter Strafe stellen."

Hoffmann-Riem, seit April 2008 im Ruhestand, war durch SPD-Nominierung nach Karlsruhe gekommen, steht also außer Verdacht, ein "Rechter" zu sein. Gleichwohl handelte er sich sofort eine Maulschelle vom Zentralrat der Juden in Deutschland ein. Dessen Generalsekretär Stephan J. Kramer wörtlich: "Es ist unverantwortlich, daß sich eine Koryphäe der Rechtswissenschaft beim Thema Holocaust-Leugnung solche Kapriolen leistet."

Gewichtige Kritik

Dabei ist der frühere Höchstrichter Hoffmann-Riem nicht der einzige, dem die bundesdeutsche Verfolgungspraxis bei Meinungsdelikten Bauchschmerzen bereitet. Erst wenige Wochen zuvor hatte der Strafrechtswissenschaftler und frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Winfried Hassemer, die Rechtspraxis im angeblich "freiesten Staat" der deutschen Geschichte kritisiert. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte Hassemer am 11.06.2008: "Ich bin kein Freund solcher Tatbestände, die falsche Meinungen unter Strafe stellen. (...) Der Gesetzgeber sollte im Strafverfahrensrecht ansetzen und bürgerliche Freiräume besser sichern. Er sollte die Verbindung von Geheimdiensten und Polizei nicht herstellen."

Mit ihren Äußerungen stehen die beiden langjährigen Verfassungsrichter allerdings relativ allein. Die tägliche Wirklichkeit an deutschen Gerichten, die jährlich über 14 000 Meinungs- und Propagandadelikte aburteilen, sieht anders aus. In jüngster Zeit mußte "Karlsruhe" bereits mehrfach gegen untere Instanzen eingreifen, um wenigstens einen Restbestand an Meinungsfreiheit zu sichern.

Noch mehr Knebel

Generell aber läuft der Trend darauf hinaus, sogar die Forderung nach einer Abschaffung oder Liberalisierung des Volksverhetzungsparagraphen ähnlich wie eine "Holocaust-Leugnung" zu werten - nach dem Motto: Wer dieses Gesetz nicht befürwortet, macht sich selber des "Revisionismus" verdächtig und stellt sich gegen die demokratische Rechtsordnung. Entsprechende Interpretationen finden sich bereits in behördlichen Versammlungsverboten und Verfassungsschutzpapieren.

Auch die Juristenschelte des Stephan J. Kramer deutet an, wohin die Reise gehen soll - in ein Land, in dem eines Tages sogar Höchstrichter fürchten müssen, wegen "unverantwortlicher" Meinungen auf der Anklagebank zu landen. Vielleicht bietet China den Betroffenen dann Asyl.

Quelle: http://www.nationeuropa.de/heft/beitrag.php3?beitrag=4897



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