Freitag, 12. September 2008

Die USSRA - Finanzkrise und Freiheit



Die USSRA - Finanzkrise und Freiheit

Die faktische Übernahme von Fannie Mae und Freddie Mac stellt die größte Nationalisierung in der Menschheitsgeschichte dar, schreibt Nouriel Roubini. Mit diesem Schritt erhöht der amerikanische Staat den Bestand an Vermögenswerten um fast 6 Bill. Dollar, gleichzeitig steigen die Verbindlichkeiten in derselben Größenordnung. Diese „Bilanzverlängerung“ wird mit den im Rettungsplan vorgesehenen 200 Mrd. Dollar an frischem Kapital für die beiden Hypothekengiganten F&F erkauft - das ist ein Hebel von 30 (wie bei einem ordentlichen Hedge-Fonds). 

Die de-facto-Übernahme von F&F durch den amerikanischen Staat ist Zeichen einer immer engeren Verschmelzung von Staat und Finanzindustrie. Die ist ohnehin schon offensichtlich in der Tatsache, dass mit Paulson der frühere Chef von Goldman Sachs, die Nr. 1 unter den amerikanischen Investment-Banken, an der Spitze des US-Finanzministeriums steht. Die Bannerträger der freien Marktwirtschaft betreiben insgeheim genau das Gegenteil. 

Überall Weh-Klage, der Markt hätte versagt. Man ruft nach dem Staat, der es wieder richten soll. Nein, der Markt hat nicht versagt. Es ist wahr, er hat sehr spät reagiert, aber dafür umso heftiger (und er reagiert noch). Der Ruf nach dem Staat ist ein Ruf danach, den Markt abzuschaffen und die Konsequenzen der Miss-Finanzwirtschaft zu sozialisieren. Aber nur, damit ansonsten ach so Markt-orientierte Banker den Rücken frei bekommen, um mit noch mehr Kraft und Risiko-Unbewusstsein am Glücksrad zu drehen. 

Der tot gesagte Sozialismus feuert fröhliche Urständ. Das Besondere am Sozialismus dieser von Roubini sarkastisch so genannten USSRA (United Socialist State Republic of America), ist, dass die Profite privatisiert, die Verluste aber sozialisiert werden. Denn alleine dieser eine Deal zur Bewältigung der Finanzkrise kostet den Steuerzahler geschätzte 300 Mrd. Dollar. Und damit handelt es sich eben nicht mehr „nur“ um eine „Bilanzverlängerung“. 

Die ganze Welt ist jetzt eingeladen, Geld in die USSRA zu schicken, um ohne jedes Risiko Anleihen von F&F zu kaufen und an deren Spread zu Staatsanleihen zu verdienen. Und jetzt ganz ohne Risiko - schließlich steht der Staat für alle auf F&F lautende Schuldscheine gerade. 

Eines der wichtigsten ideologischen Prinzipien des Kapitalismus schlägt sich in dem Spruch nieder: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Der amerikanische Traum vom „Tellerwäscher zum Millionär“ passt dazu ebenso wie der insgesamt verhältnismäßig große Spielraum des einzelnen, sein Leben in der kapitalistischen Gesellschaft „frei“ zu gestalten. Diesem ideologischen Freiheits-Ideal entspricht auf der wirtschaftlichen Ebene das Ideal des freien Marktes, auf dem die Wirtschaftssubjekte eigenverantwortlich Angebot und Nachfrage regeln.


Von der Idealform der persönlichen Freiheit entfernen sich die kapitalistischen Demokratien mehr und mehr. Seit 2001 wird hier unter dem Vorwand der Terroristenhatz eine neue Dimension erreicht. Aber auch an der ökonomischen Basis gelten die Prinzipien immer weniger, mit denen diese Gesellschafts- und Wirtschaftsform vor zwei Jahrhunderten das Feudalregime ablöste. 

Ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess ist die seit der Rezession 2001 in immer größeren Umfang betriebene „Sekurisierung“, sprich, das Zusammenpacken von Forderungen und deren scheibchenweiser Weiterverkauf. „Jeder ist seines Glückes Schmied“ bedeutet ja auch, dass jeder für das gerade steht, was er tut - im positiven, wie im negativen. Kann ein Kreditgeber aber Forderungen weiterverkaufen, entledigt er sich der möglicherweise negativen Konsequenzen seines Tuns (Ausfallrisiko), verdient aber sofort am Verkauf. Das hält dazu an, immer mehr und immer riskantere Kredite auszuhändigen, das Geschäft wird ja nicht mehr mit einem kontinuierlichen Strom an Kreditzinsen gemacht, sondern mit dem Handel verbriefter Forderungen. 

Klar, dieser Handel mit verbrieften Forderungen ist keine Erfindung des dritten Jahrtausends. Aber zwei Dinge bedingen eine neue Qualität: Erstens der gewaltige Umfang (alleine im Hypothekenbereich in ähnlicher Größenordnung wie das US-BIP) und zweitens die Tatsache, dass mit der Hypotheken-Verbriefung ein direkter Zusammenhang mit den Lebensgrundlagen der breiten Bevölkerungsmassen besteht. 

Das ging alles so lange gut, so lange die Musik spielte, so lange die Verbriefungen noch Abnehmer fanden. Traurige Berühmtheit erreichte dabei die UBS, die genau dann noch kräftig zulangte, als das Karussell ins Stocken kam. Aber als die Musik verstummte, waren kaum Stühle da, die „Reise nach Jerusalem“ war zu Ende, die meisten Mitspieler fanden und finden sich auf dem Boden wieder. Dort werden sie nicht lange sitzen bleiben - der amerikanischen Regierung sei Dank. 

Die Rezession 2001 wurde in gewohnter Art in einem Strom von Liquidität ertränkt. Zunächst hatte die ausufernde Geldmenge wenig Einfluss auf die Güterwirtschaft, sie diente dazu, die „Assets“ des Finanzbereichs zu inflationieren. In Verbindung mit anfänglichen Lockzinsen versprachen steigende Hauspreise breiten Bevölkerungsschichten ein risikoloses Geschäft bei der Immobilienverschuldung. Der daraus zeitweilig resultierende Wohlstandseffekt gab den Rahmen dafür ab, dass die Preise der Konsumgüter nachhaltig steigen konnten, als die Geldmenge schließlich aus dem Finanzbereich herausschwappte. 

Manche Beobachter argumentieren, der Staat hätte keine andere Möglichkeit, als jetzt einzuspringen. Dieses Argument wurde bisher in jeder Krise vorgetragen. Letztlich hat das Eingreifen immer nur bewirkt, dass sich danach eine neue, noch größere Blase entwickelt hat, die noch größere Probleme mit sich brachte. 

Es ist nicht zu verkennen, dass eine weitgehende Zurückhaltung des Staates und der Zentralbanken bei der Bewältigung der Krise zu erheblichen kurzfristigen Verwerfungen führen würde. Langfristig aber könnte damit die Basis gelegt werden für eine solidere Entwicklung. Aber „langfristig“ - das ist nicht mehr zeitgemäß. Man verdient ja auch lieber kurzfristig am Handel mit Schulden als an einem kontinuierlichen Strom an Zinszahlungen für ausgegebene Darlehen.

Insbesondere nach dem überraschend positiven Verlauf des US-BIP verschärft sich die Diskussion, ob in den USA eine Rezession droht oder sogar bereits eingetreten ist. Nicht wenige Beobachter sprechen von einer „gefühlten Rezession“, die sich u.a. deswegen nicht in einem negativen Quartals-Wachstum des BIP niederschlägt, weil sie von Effekten des Außenhandels verdeckt wird (siehe Artikel vom 30. August 2008). 

Was ist eine Rezession? Machen wir die Antwort einmal nicht an nackten Zahlen fest, sondern betrachten das Wirtschaftssystem als Ganzes. Dann lässt sich eine Rezession als eine Phase ansehen, in der die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen „knirschen“; es ist Sand im Getriebe, die makroökonomischen Parameter laufen nicht synchron, die Wirtschaft holpert und stolpert. Dies weist auf Reibungsverluste hin, die ab einem gewissen Ausmaß dazu führen, dass die Wirtschaft schrumpft. 

Wenn das so ist, sollte die Korrelationsrechnung geeignet sein, solche Phasen zu erkennen. Und wenn sie auch Auskunft darüber geben kann, wie es um die aktuelle Entwicklung bestellt ist, umso besser. 

Hier streiten sich ja die Geister. Nach offizieller Lesart des NBER (nationaler Büro für Wirtschaftsstatistik) ist eine Rezession durch zwei Quartale in Folge mit negativem BIP-Wachstum definiert. Viele Beobachter (siehe z.B. Artikel vom 21. August 2008) halten die für wenig praktikabel und im Tagesgeschäft für nutzlos, weil damit eine Rezession immer erst weit im Nachhinein festgestellt werden kann. 

Folgende volkswirtschaftliche Parameter werden untersucht: Der „Industrial Production Index“ (INDPRO) ist ein Maß für die Entwicklung der Industrieproduktion. Er sollte sinken, wenn der wirtschaftliche Aufwärtstrend gestört ist. Der Wert „Total Nonfarm Payrolls“ (PAYEMS) gibt die monatliche Entwicklung der Arbeitsplätze wider. Die „Personal Consumption Expenditures“ (PCE) repräsentieren die annualisierten volkswirtschaftlichen Konsumausgaben. Das „Real Disposable Personal Income (DSPIC)“ ist das annualisierte verfügbare persönliche Einkommen. 

Diese Werte wurden wechselweise miteinander in einem zwölf Monate weiten, gleitenden Fenster korreliert und deren Ergebnisse zusammen mit den sechs durch das NBER bestätigten Rezessionen seit 1960 dargestellt. Dabei wurden die Korrelationen mit den deutlichsten Ausprägungen in den Rezessionsphasen entsprechend von oben nach unten angeordnet. Das Ergebnis kann im Chart „Rezession und Korrelation“ eingesehen werden (Web-Seite der TimePattern - „Intermarket“). 

Korrelationsergebnisse sagen nichts über die absolute Bewegung der zugrundeliegenden Datenreihen aus, sie stellen lediglich fest, ob eine synchrone oder eine asynchrone Entwicklung vorliegt. In den Darstellungen der Korrelationsverläufe bedeutet ein oberer Wert Synchronität, Ausschläge nach unten weisen auf divergente Verläufe der Datenreihen hin. 

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